Wie Castor Akubi das Schwimmen beibringt – eine Geschichte zum Vorlesen
Akubi blinzelte, die Sonne kitzelte ihn an der Nase. Es war noch früh und die anderen Rentiere seiner Herde schienen noch zu dösen. Doch er war hellwach: Das kleine Rentier konnte es gar nicht erwarten, seinen neuen Freund Castor am Fluss zu treffen. Bis dahin war es aber noch eine lange, lange Zeit: Die Sonne war gerade erst aufgegangen und der Biber schlug seine dunklen Knopfaugen immer erst auf, wenn die Sonne nicht mehr so hoch am Himmel stand.
Den Vormittag verbrachte Akubi an der Seite seiner Mutter auf der Suche nach etwas Essbarem. Seine Lieblingsspeise war natürlich Rentierflechte. Das weiße Kraut wächst im Wald besonders üppig an Plätzen, die von der Sonne beschienen sind. Heute jedoch standen vor allem Moos, Pilze und Gräser auf dem Speiseplan. So fiel es Akubi nicht schwer, sich beim Fressen etwas zurückzuhalten: Ein voller Bauch ist schließlich nicht empfehlenswert, wenn man ins Wasser will.
Endlich war es Nachmittag und seine Mutter hatte sich mit den anderen Rentieren zum Ausruhen auf den Boden gelegt. Akubi tapste leise in Richtung Wald und drehte sich noch einmal kurz um, bevor er zwischen den dicht stehenden Bäumen verschwand: Von Weitem sah seine geliebte Herde aus wie auf den Boden geworfene, große braune Steine.
Nach ein paar Minuten hörte er schon das Rauschen und Glucksen des Flusses. Sein Herz begann schneller zu schlagen: Ob er Castor sofort finden würde? Vielleicht hatte der dicke Biber ihn schon wieder vergessen?
Doch seine Angst war unbegründet: Kaum sah er das Wasser hinter den Bäumen in der Sonne glitzern, hörte er ein ohrenbetäubendes Krachen: Ein Baum fiel mit einem riesengroßen Platsch in den Fluss. Daneben stand Castor mit stolz geschwellter Brust und grinste ihn an:
„Hast du das gesehen? An diesem Baum arbeite ich schon seit zwei Stunden.“
Akubi schaute bewundernd auf den langen Baumstamm, der nun quer im Fluss lag:
„Cool, da musst du aber ganz schön scharfe Zähne haben“, staunte Akubi.
„Meine Zähne sind scharf wie Messer und hart wie Stahl.“
Castor neigte manchmal etwas zum Angeben – das hatte Akubi schon bemerkt. Trotzdem mochte er den gut gelaunten Biber.
„Aber sag mal, warum fällst du die Bäume eigentlich?“ fragte ihn Akubi.
„Na, für die Staudämme, ist doch klar“, antwortete Castor. „Durch die Dämme staut sich das Flusswasser so hoch, dass wir Biber gut darin schwimmen und tauchen können. Außerdem brauchen wir die Äste für unsere Höhlen, die Biberburgen.“
„Biberburgen?“ Akubi war verwundert.
„Ja, das sind unsere Wohnhöhlen, in denen wir schlafen. Der Eingang liegt übrigens unter der Wasseroberfläche.“
„Du tauchst also auch?“, fragte das kleine Rentier beeindruckt.
„Natürlich, aber wie sieht‘s mit dir aus? Kannst du eigentlich schwimmen?“ Castor sah Akubi neugierig an.
Akubi druckste etwas herum: „Naja, noch nicht so richtig“, gab er schließlich zu, „ich würde aber gerne schwimmen lernen.“
„Na, dann bringe ich es dir bei, ist doch ganz easy“, der Biber strahlte jetzt über das ganze Gesicht.
„Richtig schwimmen kannst du nur, wenn du den Boden nicht mehr mit den Hufen berührst. Solange du aber noch ein Nichtschwimmer bist, üben wir hier im halbtiefen Wasser. Komm rein!“
Akubi wagte sich ein paar Schritte vor. Er spürte das eiskalte Wasser an seinen Hufen. Er ging noch weiter hinein; nun wurde auch sein Bauch nass.
„Komm schon“, rief Castor, „du brauchst keine Angst zu haben. Rentiere können von Geburt an schwimmen. Wichtig ist, dass du deinen Kopf ruhig über dem Wasser hältst und deine Beine gleichmäßig bewegst.“
„Ich habe keine Angst!“, log Akubi. Jetzt musste er es wagen, sonst blamierte er sich vor Castor. Er wusste, dass er es konnte. Wie bei allen Rentieren gab es in seinem dicken Fell kleine Luftpolster, die ihn im Wasser wie Schwimmflügel an der Wasseroberfläche hielten. Trotzdem war es eine Überwindung: Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und stieß sich mit den Hufen ab.
„Prima“, rief Castor, der inzwischen ans andere Ufer geschwommen war, „und jetzt mit den Beinen paddeln und gleiten. Schau nach vorne zu mir!“
Akubi paddelte eifrig und plötzlich überkam ihn ein wunderbares Gefühl: Er konnte wirklich schwimmen.
„Juhu, ich kann schwimmen!“ jubelte er laut und verschluckte sich dabei direkt.
„Immer schön die Klappe halten und durch die Nase atmen!“ Castor war ein echter Experte und gab Akubi beim Schwimmen Tipps.
Das kleine Rentier wurde immer sicherer, sodass es sich schließlich auch ins tiefe Wasser wagte.
Castor war begeistert: „Du bist ein echtes Naturtalent, Akubi, und dazu hast du noch den besten Lehrer ganz Kanadas!“
Akubi war überglücklich und bemerkte erst jetzt, dass die Sonne schon hinter den Baumwipfeln verschwunden war.
„Mensch Castor, es ist schon spät, ich muss zu meiner Herde!“
„Echt? Für mich hat der Spaß gerade erst angefangen. Kommst du morgen wieder zum Schwimmen lernen?“, fragte er und schaute Akubi dabei aus seinen treuen Augen an.
„Klar, aber lernen muss ich es ja jetzt nicht mehr. Ich kann schließlich schwimmen!“ Akubi lachte, drehte sich um und trabte davon.